Internationale Tagung in Tübingen
4.-6. November 2021
Der montierte Fluss
Donaunarrative in Text, Film und Fotografie
Die Donau berührt oder durchfließt gegenwärtig zehn Staaten – mehr als jeder andere große Strom der Welt. Der Fluss, der den europäischen Kontinent von West nach Südost quert, steht im Brennpunkt zahlreicher national wie auch übernational gefärbter, teils sich ergänzender, teils sich widersprechender Erzählungen. Traumatische Ereignisse wie Kriege, gesellschaftliche Umbrüche und einschneidende politische Zäsuren haben dazu geführt, dass die kulturellen und gesellschaftlichen Narrative dieses Flusses immer wieder umgeschichtet, verändert und zu neuen Sinneinheit zusammengesetzt wurden.
Im Forschungsprojekt „Die Donau lesen“ werden ausgewählte Fluss-Erzählungen mit literatur-, kultur- und medienwissenschaftlichen Instrumentarien analysiert. Es wird herausgearbeitet, wie sich die Donaunarrative im 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts im Wechselspiel unterschiedlicher Bild- und Textmedien (literarische Texte, Filme und Fotografien) verändert haben. Untersucht werden die narrativen und transmedialen Logiken der einzelnen Medien ebenso wie die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, in die diese eingebettet sind.
Wir schlagen für den Prozess des narrativen Baus und Umbaus von Flussbildern den Begriff der „Montage“ vor. Die Donau ist, so behaupten wir, nicht nur im Motiv des natürlich und unaufhörlich dahinfließenden Stromes zu fassen, sondern mindestens ebenso in Bildern der Grenze, der Brüche und der Einschnitte. Die in literarischen Texten, Filmen und Fotografien produzierten und transportierten Flussbilder greifen zwar immer wieder auf Kontinuitätsdiskurse zurück, mindestens ebenso aber tragen sie die Zeichen der Konstruktion und Rekonstruktion in sich. Sie bedienen sich einer Vielfalt medialer und diskursiver Techniken der Collage und der Montage, die es in der Tagung beispielhaft zu entschlüsseln gilt.
Die Idee des „montierten“, des „zusammengesetzten“ Flusses, kann in vielerlei Hinsicht Anregung geben, neue Perspektiven auf die Donau als Erzählraum zu erproben. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Etablierte Donau-Klischees können aufgebrochen oder auch demontiert werden, wenn die konstruktiven Bauweisen kollektiver Flussbilder ausgelotet und offengelegt werden. Innerhalb einzelner Medien können die Strategien der Collage und der Montage bzw. der Bricolage als Erzählprinzipien untersucht und dargestellt werden. Aber auch die baukastenartigen Verbindungslinien zwischen nationalen und übernationalen Diskursen und den damit assoziierten Flussbildern können unter dem Blickwinkel der Montage neu beleuchtet werden. Neue Einblicke gewährt der Strom auch als Konstruktionselement zeitgenössischer, von Migrationen und Diversität geprägter und in ihrem Selbstverständnis übernationaler Lebensräume oder etwa von Identitätsnarrativen der multilokalen donauschwäbischen Gemeinschaften oder anderer Minderheiten.